Ovalrennen sind kein Rennsport. Sie sind Rennsport in Perfektion.

Unter dem folgenden Video …

https://www.youtube.com/watch?v=GihW476vjfU

… lamentiert ein User:

Rechtskurven sind wohl zu schwierig… mit maximaler Geschwindigkeit 500 Runden in einem großen Oval abspulen

Wer Ovalrennen kennt, der weiß dass der Poster vermutlich nichts über Ovalrennen weiß. Auch ich wusste lange nichts über Ovalrennen, wie die meisten deutschen Rennsport-Fans auch! Deswegen möchte ich hier ein wenig erläutern, warum Ovalrennen alles andere als langweilig sind. Ich selbst bevorzuge beim passiven Motorsport (also als Zuschauer) mittlerweile sogar Ovalrennen.

Nochmal zum Zitat:

Rechtskurven sind wohl zu schwierig… mit maximaler Geschwindigkeit 500 Runden in einem großen Oval abspulen

Es geht immer um maximale Geschwindigkeit! Das ist das, worum es im Motorsport geht! Ausgenommen hiervon sind natürlich einige Spezialitäten wie Orientierungsfahrten oder Drag-Rennen, bei welchen eine bestimmte Zeit nicht unterschritten werden darf.

Was der Poster aber vermutlich meint: 100% Vollgas, mit durchgetretenem Gaspedal. Das kommt vor, aber in der Regel nur auf den riesiegen Superspeedways. Und selbst dort muss erst mit feinstem Lenkrad-Input die optimale Linie gefunden werden. Hierbei unterscheiden sich häufig noch die Linien für’s …

  • Zeitfahren, wo es um die Minimierung der Zeit über 1-4 Runden geht. Hier muss u.a. Anlauf genommen werden, um mit einem Geschwindigkeitsüberschuss die gezeitete Runde zu beginnen, und, ganz wichtig, die Reifen müssen ordentlich aufgewärmt werden, innerhalb von 1-2 Runden. Heizdecken sind ein Formel 1-Luxus.
  • Rennen: Im Rennen muss eine Linie gefunden werden, die einen optimalen Kompromiss zwischen Reifenverschleiß bietet und dem Dranbleiben am Pulk, um nicht den Anschluss an der Aerodynamik-Lokomotive zu verlieren.

Auf den Strecken, die nicht voll gefahren werden (also den meisten Ovalen), wird dann auch noch nicht nur ausschließlich mit dem Lenkrad gelenkt, sondern auch mit Gas (und seltener mit Bremse). Es würde den Rahmen dieses Artikels sprengen, aber ein geschickter Tanz mit dem Gaspedal kann einen Hecktriebler trotz geringen Grips auf der Vorderachse den vorteilgebenden Linksdrall geben. Natürlich muss man hierbei aufpassen, den Pneu nicht zu sehr zu erhitzen und verschleißen.

Aero-Pull und Aero-Push

Überhaupt, Aerodynamik! Vor allem IndyCars sind sehr anfällig für alles, was Aerodynamik angeht, da hier mit (teilweise mit vollem) Abtrieb um die Kurven geprescht wird. Verringert sich der Abtrieb zum Beispiel wegen Windschattenfahren, führt das zu einer Verlangsamung in der Kurve sowie einem höheren Reifenverschleiß. Es sei denn, man wählt in der Kurve eine Linie hinter seinem Gegner, in welchem der Aero-Drag weniger relevant ist.

Hierbei zu beachten sind nicht nur Aero-Drag, also das klassische Windschattenfahren (“Aero-Zug”), sondern auch der Aero-Push (“Aero-Anschieben”). Ohne zu sehr in die Physik abzuschweifen: Hierbei schließt ein Verfolger eine aerodynamische Lücke hinter dem Boliden, welche normalerweise einen Zug nach hinten verursacht und das Fahrzeug verlangsamt. Auf der Geraden ist dieser Aero-Push eine tolle Sache, da man so im Zweier-Team den Verfolgern davonheizen kann. In der Kurve aber zeigt sich der luftwiderstandreduzierende Charakter eher negativ, nimmt er doch den Abtrieb vom Heckflügel. Als Resultat übersteuert der Bolide, und wer nun nicht gut reagiert, der landet in der Außenmauer (oder schlimmer: in der Innenmauer und von da zurück in den Pulk). Besonders kaltblütige Verfolger nutzen dies aus, um jemandem ungestraft aus dem Rennen zu werfen; meist ist dies aber eine schlechte Taktik, denn so verliert man seinen Windschattengegner und löst ein Safety-Car aus, und hat am Ende nicht mehr 0 direkte Verfolger, sondern das ganze Feld.

Taktik

Ovalrennen sind ein wenig wie Poker: Man muss manchmal ein kleines Risiko eingehen, um evtl. einen entscheidenden Satz nach vorne machen zu können. So gesehen spielt Glück auch immer eine kleine Rolle und es kommt immer wieder zu spannenden, unverhofften Positionsänderungen, die das Bier in deiner Hand warm werden lassen. Über die Saison werden diese Quentchen Glück aber ein wenig geglättet. Wer etwas gut kann, der steigert seine persönliche Wahrscheinlichkeit für das, was wir Glück nennen. Das ist im wahren Leben so, im Poker und eben auch im Oval.

Ein Beispiel für ein solch einzugehendes Risiko ist das Spiel mit dem Treibstoff (im IndyCar und NASCAR wird anders als in der Formel 1 noch nachgetankt). Es gibt kein Rennen ohne Safety-Car-Phase. Wenn das Rennen nun schon sehr alt ist und noch kein Safety-Car gesehen hat, so kann ich als Taktiker einen risikobehafteten Griff tuen: Weniger nachtanken, als man müsste. Das macht das Auto schneller und den Pit-Stop kürzer: Erstmal ein Vorteil! Wenn aber nun entgegen der Wahrscheinlichkeit keine Safety-Car-Phase im aktuellen Pit-Stop-Fenster eintrifft, habe ich einen großen Nachteil. Wer früher tankt, verliert den aerodynamischen Anschluss an den Pulk. Und gegen Ende des Rennens ist ein zusätzlicher Boxenstopp fatal, wenn sonst niemand mehr stoppt: Pro Pit-Stop verliert man in einem kleinen Oval gerne mal flott 2-4 Runden, und ehe man sich versieht, ist man letzter.

Ovalrennen sind wie Finanzspekulationen (wozu man ja auch Poker zählen könnte): Großes Risiko = Große Gewinnmöglichkeit. Geringes Risiko = Geringe Gewinnmöglichkeit. Auch gute Spekulanten verlieren manchmal, genauso wie schlechte Spekulanten manchmal gewinnen; die Güte ergibt sich über die Saison betrachtet.

… und es wird doch gebremst

Es stimmt, dass im Rennen selbst meist das Bremspedal unangetastet bleibt. Spätestens beim Boxenstopp aber muss gebremst werden, und beim Indy 500 ist das Einbremsen zum Stopp extrem schwierig: Man rast mit einem Tempo von 370 km/h um die Kurven, die Bremsen sind extrem heruntergekühlt durch Nichtbenutzung und Fahrtwind. Wählt man nun den zeitsparenderen, kurzen Pit-Entry, so ist der Bolide innerhalb von Sekunden um 300 km/h zu verzögern. Die Fliehkräfte sind enorm. Und bei abnehmendem Tempo verringert sich die Downforce, so dass man schon während des Bremsens wieder vom Bremspedal gehen muss, da sonst die Räder blockieren. Und blockierende Räder will man nicht, wenn wenige Meter von einem die Konkurrenz mit 360 km/h vorbeirauscht, einem Tempo, dass sonst nur Top Fuel-Dragster und Formel 1 in Monza erreichen.

Beim ganzen Bremsvorgang muss noch bedacht werden, dass der Spaß in einer Kurve stattfindet.

Der Pit-Entry in Indianapolis ist so schwer, dass viele Fahrer lieber den etwas leichteren Pit-Entry auf der Gegengeraden wählen, wo sie sicherer verzögern können, aber etliche Sekunden verlieren, weil sie dann die letzten zwei Kurven langsam nehmen müssen.

Stell dir vor …

Stell dir eine schöne Landstraße mit Leitplanken vor, mit moderaten Kurven. Wie schnell kannst du fahren, dass du gerade so nicht die Leitplanken berührst (Stell es dir nur vor! Im öffentlichen Verkehr rasen ist asozial): 150 km/h? 250 km/h? Nun stell dir vor, du wirst von 10 Dränglern verfolgt, jeder mit einem Abstand von 20-100 cm; in den Kurven! Und nun stell dir vor, links und rechts von dir sind je 15 weitere Drängler, die alle das gleiche tun.

Hört sich das einfach und entspannend an? Wenn ja, dann solltest du eine Karriere als Rennfahrer oder Chirurg versuchen.

Was ich über NASCAR/IndyCar vs. Formel 1 denke

Formel 1 schaue ich seit Anfang der Neunziger, ich habe die komplette Schumi-Ära und den Kartbahn-Hype miterlebt. NASCAR und IndyCar sehe ich seit ein paar Jahren. Und obwohl ich die Fahrer der beiden US-Serien immer noch nicht auf die Reihe bekomme, finde ich die Rennen von Runde 1 bis zur Checkered Flag spannend. Rundenlange Duelle, Spritpoker, Pack-Racing, viele spannende Restarts. Ich muss ernsthaft zugeben, dass ich Formel 1 mittlerweile mehr aus einem Traditionsgefühl heraus schaue als aus purer Freude.

Die Spannung im Formel 1-Rennen konzentriert sich auf Starts und Restarts, und einige wenige Duelle, die meist schnell erledigt sind. Und man weiß im Vorhinein schon meist, welche Untergruppe von Fahrern gewinnen wird. Klar, Formel 1 ist vor allem ein Teamsport, und auf die Teams bezogen ziehen sich Wettkämpfe über Jahre hinweg (siehe bspw. der Aufstieg und Fall von Red Bull Racing). Aber für den Sonntagnachmittag wünsche ich mir lieber einen Fahrersport, und den hat man in den US-Serien.

Hinzu kommen die Kommentatoren: Die Deutschen sind traditionell eher verhalten und nüchtern sachlich. Bei einer US-Übertragung im O-Ton schwanken die Emotionen aber regelmäßig über, und man bekommt auch kleine aber feine Rennsituation mit, die vor der heimischen Mattscheibe ohne Sound gar nicht aufgefallen wären.

Probiere einfach selbst mal Oval-Racing in einem Rennsimulator aus. Empfehlung: iRacing und mindestens ein Logitech G27. Ihr werdet spätestens dann verstehen, was ich so alles sagen wollte!

Warum Oval-Rennen

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